Nun unsere kleine Geschichte:
Pupils for the Poor – wie alles begann
Eine Freundschaft …
1989. Nach dem Sturz der kommunistischen Gewaltherrschaft fahren hilfsbereite Österreicher mit Lebensmittel- und Kleidertransporten nach Rumänien. Unter ihnen Dr. Imogen Tietze, Referentin an einer Grazer Akademie, die mit mir an der Ruhr-Universität Bochum Theologie studiert hat. Sie entschließt sich, dort zu bleiben, in der kleinen Stadt Lipova im Banat, und die dortige Caritas, die bis dahin nur aus einem kleinen Büro besteht, mit aufzubauen. Dank ihrer Tatkraft entsteht das Hildegardis-Haus, das Armenküche und Sozialstation beherbergt, außerdem auch Räume für dringend notwendige Kurse der Erwachsenenbildung. – Nahrung für Körper und Geist. Sie legt einen Gemüsegarten an, um das Essen auf Rädern von wirtschaftlichen Engpässen der Stadt unabhängig zu machen, mietet Lagerräume für gespendete Möbel, stellt Mitarbeiter ein, die Caritas für Menschen erlebbar machen können: Köchinnen, Krankenschwestern, Sozialarbeiter. Nach und nach kommt Weiteres hinzu: Eine Bäckerei, in der Brot für die Armenküche gebacken, aber auch Gebäck zur Finanzierung der Sozialarbeit verkauft wird. Ein Wohnheim für Schüler aus abgelegenen Dörfern, die in Lipova zur Schule gehen.
Unterstützt wird sie von einem Netzwerk aus Freunden in Deutschland und Österreich, die Kleidertransporte organisieren und Geld spenden. Imogen hat sich zu einem einfachen Leben entschieden, ohne regelmäßiges Einkommen, ohne Versicherung, ohne Aussicht auf Altersrente. Eine Aussteigerin? Eine, die ernst macht mit der Erkenntnis, dass Geld und Karriere nicht alles sind.
… eine Idee …
Religion unterrichten, das hat mit dem Wunsch zu tun, junge Menschen für die Sache Jesu zu begeistern. Caritatives Handeln aus dem Geist des Evangeliums, sich um das wirklich Wichtige kümmern, statt sich mit der Jagd auf Image und Wohlstand zu betäuben – wie schafft man es, dafür zu sensibilisieren? Sollte nicht jeder wenigstens eine Zeitlang die Werke der Barmherzigkeit verrichten – vernachlässigte Kinder trösten, mit Obdachlosen Zeit und Geld teilen, Gefangene nicht verurteilen, sondern besuchen, Kranken die Wunden verbinden, einen geistig Behinderten in den Arm nehmen, Alten zuhören, Trauernden die Hand halten? Wir neigen dazu, dies alles zu delegieren und uns davon fern zu halten.
Bei einem Sommerurlaub in Lipova entstand die Idee: Wie wäre es, mit Schülern hierher zu kommen? Sie könnten Erfahrungen machen, die nicht im üblichen Sinne „schön“, aber eindrucksvoll wären. Sie könnten unter der Anleitung der Caritas-Mitarbeiter bei der täglichen Arbeit helfen. Sie könnten später davon erzählen, andere aufmerksam machen, sich an Hilfsaktionen beteiligen.
… und ein Projekt
Das Projekt Pupils for the Poor war geboren. 2002 fuhren zum ersten Mal Schüler nach Lipova, seitdem fährt jedes Jahr in den Herbstferien eine Gruppe zum Workcamp, 2016 zum dreizehnten Mal. Die Fahrt wird gründlich vorbereitet: An einem Wochenende im Offenen Kloster Sterkrade übt die Gruppe das Miteinander ein, erhält Informationen über das Land Rumänien und die Caritas Lipova, übt Begegnungen in Rollenspielen und plant das Programm. Außerdem lernen die Schüler von Frau Weiß, einer ehemaligen Elsa-Lehrerin, die aus Siebenbürgen stammt, wichtige Begriffe und Wendungen auf Rumänisch.Das Workcamp hat sich im Laufe der Zeit verändert: Seit einigen Jahren ist es verbunden mit einer Jugendbegegnung. Zusammen mit den Schülern des Wohnheims „Jakobushaus“ arbeiten die deutschen Schüler eine Woche lang in verschiedenen Projekten. Die beiden Gruppen versuchen, sich auf Englisch zu verständigen. Und bleiben online in Verbindung. Ebenso wichtig wie das Workcamp ist das Engagement der Arbeitsgemeinschaft während der übrigen Zeit des Jahres. So hat sich eine dauernde Freundschaft zwischen Ost und West entwickelt, die mittlerweile schon vierzehn Jahre besteht.
Ein kritischer Blick
Kann man das Projekt als geglückt bezeichnen? Ober handelt es sich eher um einen „Armuts-Tourismus“, der nur kurzfristig einen Perspektivwechsel ermöglicht? Kommen wir nicht immer als die Reichen aus dem Westen, die stolz sind, den Armen im Osten ein wenig von dem abzugeben, was wir ohnehin nicht mehr brauchen? Bleiben wir am Ende auf dem Ross sitzen, von dem wir uns für eine Woche herablassen?
Auch das caritative Handeln braucht einen kritischen Maßstab. Wir wollen teilen, nicht Almosen geben. Wir wollen menschliche Begegnung, nicht den Blick von oben herab. Dann sind wir nicht nur die Gebenden, sondern selbst auch Beschenkte – durch erfahrene Gastfreundschaft und Herzlichkeit. Wir wollen nicht nur das kurzlebige Highlight, sondern nachhaltige Zuwendung. Wir wollen Gerechtigkeit – und das bedeutet, unseren eigenen gewohnten Lebensstil in Frage zu stellen.
Mit all dem sind wir noch lange nicht am Ziel. Aber das Workcamp kann ein erster Schritt sein.